KEIN SCHÖNER
LAND – EINE ANSICHTSSACHE
Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht das Medium Ansichtskarte. Dazu gesellen sich etliche andere Beteiligte, die - ob sie wollen oder nicht - sich keiner der Verantwortung entziehen können:
· die Auftraggeber der dargestellten Ansichtskartenmotive (Städte, Gemeinden, Touristenbüros, Verlage u.ä.),
· die Fotografen und ggf. Retuscheure,
· Unschuldige, nämlich die jeweiligen Landschaften, sofern noch erkennbar, in die monströse Bauwerke/ -Komplexe hineingesetzt wurden,
· die Motiv.Verursacher, nämlich Städteplaner, Architekten und Bauherren (sie jetzt hier als "Schuldige" zu bezeichnen, ginge zu weit, bestenfalls wussten sie keine anderen Lösungen),
· die Käufer der Ansichtskarten,
· die Zeit und Zeiträume, in denen sich das Abgebildete zutrug mit allen dazugehörenden Faktoren wie z.B. Ökologie, Wohn- und Verkehrsbedarf, Zeitgeist usw. usf.,
· sowie als gegenwärtiger Hauptbeteiligter, der Gestalter dieser Ausstellung, der Künstler Arnold Stach.
Auf alle diesen Beteiligten,
Aspekte und Facetten kann und soll hier
nicht eingegangen werden, denn eine Kunstausstellung ist keine
wissenschaftliche Analyse sozialgeschichtlicher Verhältnisse sondern vor allem
ein emotionales Ereignis mit starker subjektiver Aussagekraft. Und dennoch:
Diese Beteiligten alle zusammen vermitteln über das Medium Ansichtskarte – die
einzelnen Motive fokussieren auf eine dominierende Art und Weise
architektonischen Gestaltungswillens des Menschen in einem bestimmten Zeitraum
und geografischem Rahmen – eindrucksvolle zeitgeschichtliche Informationen.
Selbiger fiel in jüngerer Zeit (von
1995 bis 2001) vor allem dadurch auf, dass er malte, phantasievolle Bilder mit
starken grafischen Elementen im abstrakten Bereich, gelegentlich mit
figürlichen „Einschüben“. Bedeutsam war, neben der extremen Farbigkeit, dass
alle seine Bilder beim Betrachter ein Gefühl des Wohlbefindens auslösen
sollten. Ebenso bedeutsam für die folgende malerische Epoche des 1969 in Esslingen
am Neckar geborenen Künstlers war die Begegnung mit Stefanie Leßle. Aus diesem
Zusammentreffen entstand die künstlerische Symbiose „JaThunfischJa“, entstanden
gemeinsame Bildwerke, in denen beide die ihnen eigenen Stilmittel einbringen
konnten.
Einige dieser Gemälden wurden nach
Bremerhaven verkauft, an eine Wohnungsbaugesellschaft, die Wohnungen in
riesigen Häuserblöcken verwaltet und vermietet; Häuserungetüme mit zighundert
Wohneinheiten, wie sie vor ca. 40 Jahren entstanden, und wie sie vielfach in der
Ansichtskartensammlung von Arnold Stach abgebildet sind. In diesen
Häuserblöcken sollten, im Rahmen allgemeiner Sanierungsarbeiten, die Werke des
Künstlerduos „JaThunfischJa“ die tristen Entrés und Flure neben
Fahrstuhlschächten erhellend verschönern (eine späte Wiedergutmachung für die
gekonnt triste Bebauung der 60er Jahre?).
Über die hier angedeuteten Wege und
Bahnen wird auf kuriose Art und Weise noch ein anderer Weg gekreuzt, den Arnold
Stach vor Jahren in seiner Jugend zu beschreiten begann, nämlich auf seinen
Reisen Ansichtskarten zu kaufen und zu verschicken; dabei vornehmlich Karten,
die ungeniert das zeigten, was Touristen heutzutage normalerweise nicht
interessiert und was sie auch nicht unbedingt sehen wollen: Wohnsilos,
Plattenbauten, Industriegelände, Flughäfen und Raststätten. Eine Karte mit
einem dergleichen wunderhübschen Motiv versehen und auf der Rückseite mit dem
Text bestückt „Der Schwarzwald ist wunderschön - Mit einem lieben Gruß aus der
zauberhaften Vorstadtsiedlung von Lahr, Arni“ zeigt, in welcher Art und Weise
der Künstler damals schon Stellung bezog zu dem, was ihn in der damaligen
Gegenwart an baulichen Ereignissen begegnete. Ironie des Schicksals, dass seine
malerische Kunst mit „JaThunfischJa“ ab 2000 in den Wohnsilos damit wieder die Verbindung zu den
gesammelten Ansichtskarten – Kuriositäten findet.
Es war wohl die
Initialzündung für Arnold Stach, sich den Karten nun intensiv zu nähern,
hinzugucken, ob sich in aktuellen Postkartenständern an Bahnhöfen,
Touristenshops, Ferienortkiosks usw. noch Ähnliches findet, über das Internet
Karten zu ersteigern, bei Freunden und Bekannten nach Karten zu forschen und
schließlich die Ausstellung „Kein schöner Land – eine Ansichtssache“
zusammenzustellen.
Der Künstler Duchamps behauptete schon
1914 sinngemäß, wenn er einen Gegenstand nimmt, ihn irgendwie präsentiert, ihn
von seinem angedachten Zweck entfremdet, dann sei das Kunst. Das „objet
trouvée“ oder „ready-made“ erhält durch die Herauslösung aus seinen üblichen
Zusammenhängen eine andere und/oder vertiefende Sinngebung.
Die gekauften, geschenkten,
ersteigerten Ansichtskarten des Künstlers Arnold Stach, hier über 200
Einzelobjekte, verdichtete er durch die Art und Weise der Zusammenstellung zu
Sinngebungen, die die ehemaligen Bauherren, Kartenauftraggeber und
Kartenhersteller sicherlich nicht herbeigesehnt haben. Dem Sammeln als
Kunstform gesellt sich hier ein besonders hohes Maß an Komplexität der
Zusammenstellung hinzu. In Achtergruppen werden z. B. Industrieanlagen,
Hochhausgiganten, Einkaufszentren, Aussichtstürme und Hallenbäder kreuz und
quer durch die ehemalige BRD und DDR präsentiert, die sich innerhalb ihrer
Gruppierung durch das Merkmal der Austauschbarkeit besonders auszeichnen. Und
so wie Arnold Stach sammelte und zusammenstellte, ist es den Befindlichkeiten
und rationalen Standpunkten der jeweiligen heutigen Betrachter vorbehalten, ob
sie sich mit Grauen von der abgebildeten Betonwelt abwenden, weil wir es
gegenwärtig doch lieber vielfältiger und bunter haben wollen oder ob sie sich
eher darüber amüsieren, dass für diese heute überwiegend als „Bausünden“
verfemten Fehlleistungen der Vergangenheit überhaupt fotografischer und
verlegerischer Aufwand getrieben wurde, oder ob sie gar Gefallen an der Ästhetik
dieser Architektur und dem damit verbundenen Lebensgefühl finden.
Heutzutage ist es schwer, solche
Motive, wie sie hier vorliegen, als aktuelles Dokument einer Sehenswürdigkeit
eines Ortes zu entdecken; es sei denn der abgelichtete Bau oder eine Skyline
weisen architektonische bzw. charakteristische Besonderheiten auf. Letztere
waren aber eben bei den Motiven aus den 50iger bis 70iger Jahren fast gar nicht
vorhanden.
Und dennoch waren die monströsen
Betongebilde es den Stadtvätern, Gemeindevorstehern und Touristenvermarktern
wert, über die Grenzen der jeweiligen Region hinaus z.B. über das Medium
Ansichtskarte präsentiert zu werden. Hatte eine Stadt ein Hochhaus oder ein
Hallenbad errichtet, wurde dieses quasi zum Statussymbol für die Stadt, auf das
aber nicht nur die Stadtväter, sondern auch die Bevölkerung großenteils stolz
waren. Es war Aufbruch- und Wirtschaftswunderzeit und was schon in den
Nationalhymnen mit den Zeilen „auferstanden aus Ruinen“ (DDR) oder „blühe
deutsches Vaterland“ (BRD – obwohl ja alles Blühende mittels Beton und Asphalt
hinweg gewalzt wurde) manifestiert wurde, fand in den baulichen Auswüchsen
seinen fulminanten, sichtbaren Ausdruck. Sofort wurden diese Wunder aus Beton
auf Postkarten gedruckt, gerne auch in Farbe, denn in einer Zeit, in der
Fotografie hauptsächlich in schwarz/weiss üblich war, wirkten Farbfotografien
gradezu futuristisch. So wurde der neu errungene Wohlstand nicht nur durch die
Architektur selbst, sondern auch durch deren moderne Ablichtung dokumentiert.
Für breite Bevölkerungsschichten war es
auch ein Fortschritt, aus einem halb verkommenen Altbau mit Ofenheizung und
Etagentoilette in eine dieser modernen Neubauwohnungen mit Zentralheizung und
Badezimmer zusammen mit tausenden anderen zu ziehen. Hatte so ein moderner
Bürger eine Wohneinheit in einem Wohnsilo bezogen und die Möglichkeit seine
Verwandten und Bekannten mittels einer Ansichtskarte mit einem Bildmotiv über
sein neues Wohnparadies zu informieren, geschah es nicht selten, dass er mit einem
Kreuzchen das 42. Fenster von links in der 12. Etage kennzeichnete, natürlich
mit dem Zusatz „hier wohne ich jetzt“ versehen.
Im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus war
es in der Nachkriegszeit wegen der Knappheit des Wohnraumes, bis in die 60iger
Jahre hinein natürlich auch eine notwendige Überlebensform Massenquartiere zu
bauen und zu bewohnen. Ebenso früh wurden aber bereits damals diese Wohnformen
kritisiert z.B. in dem Werk von A. Mitscherlich „Die Unwirtlichkeit unserer
Städte“, Kritiken, die früh erkannten, welche milieuschädigenden Wirkungen
derartige Lebensformen in sich bergen. Dessen ungeachtet, war jedes Medium
recht, dem entgegen zu steuern und man versuchte, mittels schöner Bilder die
jüngsten Errungenschaften aus Industrie, Architektur und Städteplanung ins
beste Licht zu rücken.
Kein Wunder also, dass auf Postkarten
stets die Sonne scheint.
In der DDR gab es sogar
"Druckgenehmigungsrichtlinien" und Fotografen bekamen die Anweisung,
möglichst keine alten Leute oder klapprige Autos abzulichten. Zwar gab es in
der BRD keine offiziellen staatlichen Richtlinien dafür, wie eine Ansichtskarte
auszusehen habe, dennoch unterschieden sich die Abbildungen beider politischer
Systeme kaum voneinander (sieht man einmal davon ab, dass auf den Karten der DDR
nie Antennen auf den Häusern zu sehen sind - diese könnten schließlich in
Richtung Westen zeigen).
Somit zeigen diese Karten nicht nur die
abgebildeten Gebäude, sondern vor allem das Lebensgefühl jener Zeit, in der sie
entstanden - eine optimistische Aufbruchstimmung, die grenzübergreifend in ganz
Deutschland vorherrschte.
Aus heutiger Sicht wirken die
Ansichtskarten der 50er und 60er Jahre, trotz nachcolorierter Grünflächen, eher
karg und trostlos. Würde man heute die abgelichteten Orte und Gebäude aufsuchen,
wird man feststellen, dass sie inzwischen sogar noch viel trostloser sind,
vorrausgesetzt sie existieren überhaupt noch. Viele der damals bewunderten
Hochhäuser und Stadthallen wurden inzwischen wegen Gesundheitsgefährdung durch
Asbest abgerissen, andere aufgrund veränderter Ansprüche komplett umgebaut.
Inzwischen hat man aus den architektonischen Fehlern der Vergangenheit gelernt, dennoch finden sich in den Postkartenständern immer noch, bzw, wieder Ansichtskarten, auf denen unsere neusten baulichen Errungenschaften zu sehen sind...
Joachim
Bieber, Bremen im Januar 2005